Christian Ahnsehl stammt aus Rostock, Lütten Klein, obwohl er in Greifswald geboren ist. Er ist Musiker, obwohl er gerade seinen ersten Roman veröffentlicht hat. Und er war inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit, obwohl er 1985 erst 15 Jahre alt war. Das Eine muss das Andere nicht ausschließen. Sein Roman „Der Ofensetzer“ erzählt von seinen Erfahrungen mit der Stasi, getragen von der literarischen Figur Tom, der ähnliche Dinge erlebte wie der jugendliche Ahnsehl.
Wie beeinflussbar sind wir, wenn wir jung sind? Eine Frage, die wahrscheinlich jeder beantworten kann, wenn er die Pubertät überstanden hat. Christian Ahnsehl aus Rostock hat seine Jugend und Naivität dieser Zeit mit seinem Buch „Der Ofensetzer“ verarbeitet. Erschienen im Grünberg Verlag erzählt es von dem 15-jährigen Tom, der im Jahr 1986 eine Parole an seine Schulwand malt und daraufhin von der Staatssicherheit (Stasi) der DDR als inoffizieller Mitarbeiter (IM) angeworben wird. Durch den Roman ziehen sich autobiographische Parallelen, die Ahnsehl bewusst gesetzt hat, um seine eigene Jugend zu bewältigen. „Ich bin in der DDR aufgewachsen, steckte mitten in der Pubertät, mein Elternhaus war nicht das Beste und ich bin der Impfung des Kommunismus auf den Leim gegangen. Dem wollte ich Luft machen und hab in meiner Schule ‚Wacht auf, steht auf, befreit euch! Ich will leben.‘ an die Wand geschrieben. Es war nicht politisch gemeint. Ich bin damals nicht klar gekommen und habe aus Wut und Verzweiflung gehandelt.“ Ähnlich wie seine Figur Tom wird Ahnsehl nach seiner Aktion von der Stasi angesprochen und zum IM gemacht.

„Es war zunächst eine totale Faszination. Ich wusste damals noch nicht, was Macht und Gefahr bedeutet. Darüber wurde der Mantel des Schweigens in meinem Umfeld geworfen. Und der Herr, der damals zu mir kam, mit dem konnte man sich unterhalten. Ich hatte das Gefühl, dass die sich für mich 15-Jährigen interessieren. Meine ersten kleinen Aufträge waren eher global. Ich habe damals Geige gespielt und wir sind mit unserem Musizierkreis in Kavelstorf bei Rostock bei einem Kirchgemeindefest aufgetreten. Da sollte ich einfach nur erzählen, wie viele Leute da waren und wie die Stimmung so war – also Dinge, die sich noch gar nicht auf Personen bezogen. Als ich dann auf die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten angesetzt wurde und ganz konkret über Leute berichten sollte, regten sich bald die ersten Zweifel. Ich konnte aber nicht einfach sagen: ‚Ich will nicht mehr.‘ Ich fing an die Treffen zu schwänzen, oder versuchte telefonisch abzusagen. Der psychische Druck, den die Stasi daraufhin aufgebaut hat, war extrem. Irgendwann war ich aber draußen. Die Stasi wusste, dass ich nicht mehr zuverlässig war.“
Im Abschlussbericht über den heutigen Musiker steht, dass der IM nach einem Jahr aus Gewissensgründen die Zusammenarbeit beendete. „Ich habe 2007 meine Stasi-Akte gelesen und war geschockt, denn die ersten hundert Seiten handeln von der Zeit vor meiner Losung. Die Stasi hat sich 1984 an meiner Schule in Lütten Klein nach potentiellen Berufssoldaten erkundigt. In Wirklichkeit waren sie auf der Suche nach Spitzeln für die Junge Gemeinde, in die ich damals ging. Als guter und von der DDR überzeugter Schüler passte ich genau ins Raster, und daher wurde ich schon als 14-Jähriger von der Stasi als sogenannter IM-Vorlauf geführt.“ Christian Ahnsehl ist als jugendlicher Stasi-IM kein Einzelfall. Schätzungen zufolge gab es am Ende der DDR bis zu 3000 jugendliche IM. In DDR-Zeiten galten Kirchengruppen als Ort des Protestes und diesen wollte der Staat unterbinden. Christian Ahnsehl hat lange gebraucht, um die Zeit zu verarbeiten. Mit dem Zusammenschluss zu einem gemeinsamen Deutschland hat er über diesen Punkt mit seinen Umfeld und den Menschen, die er bespitzeln sollte, geredet. „Es gab durchweg positive Reaktionen auf meine Entschuldigung.“
Die Kirche spielt in seinem Roman „Der Ofensetzer“ keine Rolle – aber Udo Lindenberg, der sich als Motiv durch den Roman zieht und für den sich Christian Ahnsehl in seiner Jugend begeisterte. Autodidaktisch brachte er sich das Gitarre spielen bei. Da ihm durch seine Vorgeschichte Abitur und Studium verwehrt blieben, absolvierte er eine Maurerlehre und schlug sich mit Hilfsjobs durch. Nebenbei machte er Musik. Nach dem Mauerfall 1989 versuchte er sich mit acht Kollegen ohne die üblichen DDR Strukturen mit dem Sunny Soundorchester einen Namen zu machen. Sie etablierten sich schnell und spielten ab 1991 unter anderem regelmäßig auf dem Kreuzfahrtschiff der MS Arkona. „Mit meiner damaligen Band habe ich bis 2001 auf Kreuzfahrtschiffen gespielt. Eine wunderbare Zeit. Plötzlich konnten wir die ganze Welt sehen! Ich habe aber schon früh gemerkt, dass da noch mehr als Musik ist. Ich holte mein Abitur nach und studierte im Anschluss Geschichte, Politik und Philosophie.“
Er hätte auch eine Doktorarbeit schreiben können. Wollte aber nach seinem Abschluss 2005 an das Stasi-Thema ran. Er wollte aus seinen Erlebnissen einen Roman machen. „Die Resonanz auf das Buch freut mich riesig. Leute schreiben, dass sie ihre DDR-Erfahrungen noch einmal durchlebt haben. Andere berichten, dass sie erstmals einen echten Zugang zum Thema DDR gefunden haben. Schönere Komplimente kann man sich als Autor wohl kaum vorstellen.“
Antje Benda
