„Nein“, brüllt sie. „Nein, das ziept in meinen Haaren!“, brüllt sie noch lauter und zappelt auf dem Schoß ihrer Mutter herum. Tilly ist fünf Jahre alt, hat kleine braune Locken und grüne Augen, die vor Wut funkeln. Frisch gewaschen, sitzt sie in ihrem blauen Schlafanzug mit den Wolken drauf auf ihrem Bett und erträgt wie ihre Mutter ihr die nassen Haare versucht zu kämmen. „Nein, ich will das nicht.“ Ihre Mutter stöhnt auf, verdreht die Augen und erwidert „Tilly, du kleiner Satansbraten, halt bitte still. Wir müssen deine Haare nach dem waschen kämen, sonst verfilzen sie und wir müssen sie abschneiden.“ Bockig verschränkt Tilly die Arme vor ihrer Brust und zieht eine Schnutte. Eine ganze Minute hält sie schnaubend still, bevor sie von dem Schoß ihrer Mutter aufspringt und durch ihr Zimmer rennt. „Mama, können wir jetzt noch spielen?“ „Nein, Tilly. Du darfst noch eine Märchen hören oder Buch lesen. Aber wir rennen jetzt nicht mehr durch die Wohnung.“ Mit diesen Worten steht Tillys Mutter vom Bett auf und geht Richtung Fenster. Draußen ist es noch hell, weil der Sommer gerade erst richtig begonnen hat, doch als fünf Jährige muss man trotzdem um acht ins Bett. Das stinkt Tilly gewaltig. Sie freut sich schon darauf endlich groß zu sein und dann auch abends noch durchs Haus laufen zu dürfen. Während sie an die glorreichen Tage in nahender Zukunft denkt, zieht ihre Mutter mit einem „Ratsch“ die Gardinen zu, dreht sich um und schnappt sich mit einer nichts ahnenden Bewegung das kleine Mädchen. Im nächsten Moment liegt sie unter der Decke und ihre Mutter schaut sie fragend an. „Was möchtest du?“ Tilly verzieht das Gesicht. „Ganz ehrlich?“ „Ja ganz ehrlich!“, wiederholt ihre Mutter schmunzelnd. „Ich möchte noch nichts ins Bett, sondern mit Papa und dir spielen. Wie wär es mit Fußball?“ Tillys Mama lächelt, schüttelt den Kopf und stellt eine Gutenachtgeschichte an. „Aber ich bin doch gar nicht müde.“ Tillys Mama ignoriert das, gibt ihr einen Kuss auf die Stirn und sagt: „Das kommt schon noch und jetzt hör auf so eine Schnutte zu ziehen, damit kriegst du Papa vielleicht rum, aber mich bestimmt nicht.“ Tilly grummelt noch etwas, sagt dann aber gute Nacht und dreht sich mit dem Gesicht zur Wand.
Ihre Mama hat ihr die Geschichte vom gelben Esel angemacht. Der gelbe Esel ist tolpatschich und immer fröhlich. Während Tilly über seine Abenteuer nachdenkt, fallen ihr auch schon die kleinen Augen zu. Nach ein paar Minuten fängt ihre Nase an zu jucken. Sie wischt leicht rüber, etwas verwirrt ohne jedoch die Augen auf zuschlagen. Plötzlich huscht erneut etwas über ihre Nase, nun schlägt Tilly ihre Augen auf und fällt fast aus ihrem Bett. Vor ihr steht der gelbe Esel. Er grinst breit auf sie herab. „Hallo Tilly“, sagt er freudig und stupst sie mit seinem linken vorderen Fuß an. „Mein Name ist Jerome.“ Etwas verstört und mit sausligem Haar setzt sich Tilly auf und schaut den gelben Esel Jereome an. Leicht legt sie ihren Kopf schief und schaut auf seinen Gesicht, sofern man es so bezeichnen möchte, sein Fell und seine Hufe. Plötzlich blitzen ihre Augen auf. „Sage mal, wieso bist du eigentlich gelb?“ Der Esel schaut sie etwas verduzt an, räuspert sich amüsiert und antwortet: „Ich dachte du stellst eher solche Fragen, wie: Wieso kannst du reden? Was machst du in meinem Zimmer oder Verdammt, wieso ist dein Fell so samtig weich? Aber hey, jeder hat so seine eigenen Gedanken.“ „Ähm“, ist alles was Tilly erwiedern kann. „Ich bin als kleiner Dicker Esel in einen Zaubertopf gefallen, nein ich weiß falsche Gesichte. Kennst du den Ort wo Seifenblasen niemals platzen, bunte Knete an Bäumen wächst und Bauklötzer Beine haben.“ Tilly schüttelt, immer noch etwas irritiert, den Kopf. Der Esel schmunzelt, beugt sich zu ihrem Ohr und sagt: „Das ist der Ort, wo sie mich gelb angemalt, mir eine Stimme gegeben und mein Fell nach dem Waschen immer gekämmt haben.“ Tilly zieht ihren Oberkörper zurück, verschrenkt ihre Arme vor der Brust und zieht eine Augenbraue hoch. „Willst du mir jetzt etwa erzählen, dass ich mir die Haare nach dem Waschen kämmen soll?“ „Na, fass doch mein Fell an!“, sagt der Esel und tritt dabei einen Schritt vom Bett zurück. Erst zögert das kleine Mädchen, strickt dann jedoch ihren Arm aus und greift nach dem Esel. Der Abstand zwischen ihr und Jerome ist jedoch zu groß und so fällt sie mit einem Knall auf den Boden. In diesem Moment springt ihre Zimmertür auf und ihre Mutter steht vor ihr. „Was ist passiert?“ Verschlafen reibt Tilly sich die Augen und faselt verwirrt „Jerome, Haare … so weich.“ Danach fallen ihre Augen zu. Ihre Mutter hebt sie auf und legt sie zurück ins Bett. Ein leichtes Grunzen kommt noch aus dem kleinen Mädchen, bevor sie wieder anfängt zu träumen. Zu träumen von Jerome, dem gelben Esel.